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Wissenschaftler beleuchten den „anderen Hochtemperatur-Supraleiter“

Eine von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Struktur und Dynamik der Materie (MPSD) geleitete Studie zeigt, dass Supraleitung und Ladungsdichtewellen in Verbindungen der wenig untersuchten Familie der Bismutate koexistieren können. Diese Beobachtung eröffnet neue Perspektiven für ein vertieftes Verständnis des Phänomens der Hochtemperatur-Supraleitung, ein Thema, welches die Forschung der Festkörperphysik seit mehr als 30 Jahren dominiert.

Intensive Laserpulse regen eine Bismutatverbindung an, in der Ladungsdichtewellen (links) mit Supraleitung (rechts) koexistieren. © J.M. Harms, MPSD

In der soeben bei PNAS erschienenen Studie untersuchten die Forscher um CUI-Mitglied Prof. Andrea Cavalleri und Dr. Daniele Nicoletti verschiedene Verbindungen aus der wenig erforschten Familie der Bismutate. Diese Supraleiter wurden in den 1970ern entdeckt, noch vor den Kupraten, den bekanntesten und meisterforschten Hochtemperatur-Supraleitern. Aufgrund ihrer weit niedrigeren Sprungtemperaturen (circa 30 K) wurde den Bismutaten jedoch weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Sie weisen viele Gemeinsamkeiten mit, aber auch viele Unterschiede zu den bekannteren Systemen auf. Insbesondere die Basisverbindung BaBiO(3) besitzt eine robuste Ladungsdichtewelle, aus der Supraleitung durch chemische Dotierung entsteht, d.h. durch die Ersetzung von Wismut durch andere Atome.

Die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Probenkristalle der Zusammensetzung BaPb(1-x)BixO(3), d.h. mit unterschiedlicher zugesetzter Blei- (Pb) Konzentration “x”, wurden von Ian R. Fisher und P. Giraldo-Gallo an der Stanford Universität in Kalifornien, USA, hergestellt. Die MPSD-Forscher vom Hamburg Center for Free-Electron Laser Science führten eine Reihe von Experimente an diesen Kristallen durch, in denen sie diese Kristalle mit sehr kurzen und intensiven Laserpulsen anregten. Sie maßen, wie sich ihre Leitungsfähigkeit übergangsweise veränderte und innerhalb weniger Pikosekunden zu den Ausgangswerten zurückkehrte. Durch die Analyse der Abhängigkeit dieses Signals nach Frequenz, Temperatur und Bleikonzentration konnten sie es eindeutig mit einer durch das Laserfeld verursachte Veränderung der Ladungsdichtewellen verbinden.

Indirekter Beweis von Koexistenz

„Bemerkenswerterweise,“ sagt Nicoletti, „konnten wir diese Reaktion nicht nur in der Basisverbindung BaBiO(3) messen, wo die Existenz einer Ladungsdichtewelle bekannt ist, sondern auch in der bleidotierten, supraleitenden Verbindung. Dieses Ergebnis ist ein indirekter Beweis der Koexistenz von Ladungsdichtewellen und Supraleitung in demselben Material, ein Zustand der in dieser Materialfamilie bisher diskutiert aber nie nachgewiesen worden ist.“

Die Wissenschaftler konnten außerdem die Energieskalen, die mit der Veränderung der Ladungsdichtewellen verbunden waren, genau bestimmen und so neue Informationen über das dynamische Wechselspiel mit der Supraleitung in den Bismutaten liefern.

Diese Ergebnisse sind besonders wichtig, da kürzlich Ladungsdichtewellen in mehreren Kupratsupraleitern gefunden wurden, was auf eine überraschende Gemeinsamkeit zwischen einigen Aspekten dieser Materialien hinweist. Das jetzige Experiment ist ein weiteres Beispiel, wie Licht zur Untersuchung, Kontrolle und Manipulation von Materialien genutzt werden kann. Ein letztendliches Ziel dieses Forschungsbereichs ist es, eine Art von Rezept für die Entwicklung neuer Materialien zu entwerfen, um neue Funktionalitäten bei zunehmend höheren Temperaturen zu entwickeln. Text: MPSD, Red.

 

Originalveröffentlichung:
D. Nicoletti, E. Casandruc, D. Fu, P. Giraldo-Gallo, I. Fisher, A. Cavalleri
“Anomalous relaxation kinetics and charge density wave correlations in underdoped BaPb1-xBixO3”
PNAS, Early Edition 08.Aug. 2017
DOI: 10.1073/pnas.1707079114