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Berry-Krümmung eines Bloch-Bandes erstmals vermessen

Der Forschergruppe von CUI-Mitglied Prof. Klaus Sengstock (Universität Hamburg) ist es erstmals gelungen, die Berry-Krümmung in einem Gittersystem zu messen. Damit ist ein fundamentaler Baustein im theoretischen Verständnis von topologischer Materie auch experimentell zugänglich gemacht. Die Erforschung topologischer Materie ist langfristig zum Beispiel für die Quanteninformationsverarbeitung von Bedeutung. Im Fachmagazin Science berichten die Wissenschaftler über ihre Ergebnisse.

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Künstlerische Darstellung der berechneten Geometrie der Eigenstände der zwei Bloch-Bänder. Copyright: Benno Rem / Gruppe Prof. Klaus Sengstock

Die Wellennatur von Teilchen auf der atomaren Skala führt zu vielen mikroskopischen Eigenschaften, die sich einem intuitiven Verständnis entziehen. Auch bei makroskopischen Festkörpern oder Systemen lassen sich gewisse Phänomene nur durch Quantenphysik verstehen, etwa bei Magnetismus, Supraleitung und Suprafluidität. Ein Fokus der Forschung in diesem Bereich liegt nun verstärkt auf der Untersuchung ungewöhnlicher Phänomene, die durch besondere topologische Eigenschaften bestimmt werden. Hierzu zählen zum Beispiel der Quanten-Hall Effekt, die topologische Supraleitung oder die Physik von topologischen Isolatoren, die nur an Oberflächen leitfähig sind.

Zur Untersuchung der topologischen Natur bieten sich Systeme von kalten Gasen in optischen Gittern an, da deren System-Eigenschaften gezielt vorgegeben und variiert werden können.  Dabei spielt neben der Bandstruktur auch die Struktur der Bloch-Eigenzustände eines Gitters eine wichtige Rolle. Ihre Geometrie wird durch die Berry-Krümmung beschrieben, aus der sich wiederum Größen wie die Berry-Phasen oder die Chern-Zahl berechnen lassen. Diese zeigt die Topologie des Systems an und hat dabei wichtige Konsequenzen, wie zum Beispiel quantisierte chirale Randzustände, die für die quantisierte Leitfähigkeit im Quanten-Hall-Effekt verantwortlich sind.

„In den letzten Jahren standen vor allem topologische Isolatoren und Spin-Hall-Systeme im Fokus des Interesses, weil sie eine neue Klasse von Materie darstellen, die möglicherweise für Anwendungen in der Quanteninformationsverarbeitung in Frage kommen“, sagt der wissenschaftliche Koordinator der Gruppe, Dr. Christof Weitenberg. Obwohl diese Systeme viel untersucht wurden, war es bisher nicht gelungen, die Geometrie der Eigenzustände und die daraus resultierende Berry-Krümmung entlang der gesamten Brillouin-Zone zu vermessen.

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Darstellung der experimentellen Daten der Tomographie und der Berry-Krümmung. Copyright: Benno Rem / Prof. Klaus Sengstock

Weitenberg und seine Kollegen beobachteten jetzt die Dynamik der interferierenden Zustände nach einer plötzlichen Änderung der Gitterparameter und entwickelten daraus eine neue Untersuchungsmethode. So konnten sie schließlich eine vollständige impulsaufgelöste Tomographie der Eigenzustände in einem hexagonalen optischen Gitter erstellen und daraus die zugehörige Berry-Krümmung und Chern-Zahl extrahieren.

Darüber hinaus können die Forscher die Topologie ihres Gittersystems durch periodisches Schütteln gezielt manipulieren und die Dirac-Punkte verschieben. Die Methode eignet sich auch, um den Effekt von Wechselwirkungen auf die Topologie oder die Dynamik in topologischen Gittersystemen zu untersuchen.

„Unsere Methode eröffnet völlig neue Möglichkeiten, solche Einflüsse nun experimentell direkt sichtbar zu machen“, sagt Prof. Klaus Sengstock und führt weiter aus: „Das wird große Fortschritte für das Verständnis von topologischer Materie mit sich bringen.“

Siehe auch Berichterstattung der Universität Hamburg: Pressemitteilung

Originalpublikation:
Fläschner N., Rem B. S., Tarnowski M., Vogel D., Lühmann D.-S., Sengstock K., Weitenberg C.
“Experimental reconstruction of the Berry curvature in a Floquet Bloch band”
Science, Vol. 352, Issue 6289, pp. 1091-1094 (2016)
DOI: 10.1126/science.aad4568