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Maximale Zufriedenheit entsteht aus den größten Problemen

„Moleküle und Licht“ fasst Anna Krylov ihre Forschung in zwei Worten zusammen. Die Professorin an der University of Southern California, USA, und Expertin auf dem Gebiet der Quantenchemie verbringt ihre Sabbatzeit als Mildred Dresselhaus Gastprofessorin in Hamburg. Am CUI kombiniert sie ihre Expertise auf dem Gebiet der elektronischen Struktur von Vielteilchen-Systemen mit Professor Robin Santras Expertise zur Wechselwirkung von Licht und Materie. „Hamburg ist ein Ort, wo Theorie und Experiment gemeinsam neue Gebiete der Forschung erschließen“, sagt sie.

Anna Krylov glaubt, dass Fehler förderlich sind für den Erfolg. Foto: UHH/CUI, Adler

Warum Quantenchemie? Anna Krylov stammt aus einem Land, das – wie sie es formuliert – „von der Landkarte verschwunden ist“:  der Sowjetunion. Es sei eine konservative Gesellschaft gewesen, obwohl die Geschlechter offiziell als gleichberechtigt galten. Das erklärt, warum ihre Mutter nicht begeistert war, als Anna in der sechsten Klasse ein Buch über Molekularbiologie las und ihre Zukunft von da an in der Wissenschaft sah. Sie bedrängte ihre Eltern so lange, bis sie ihr einen Chemie-Experimentierkasten kauften, und nahm begeistert an den Wissenschafts-Olympiaden teil. Als sie sich schließlich entschloss, Chemie an der Lomonossow-Universität Moskau zu studieren, stimmte die Familie zögernd zu. Sie dachte an organische Chemie, doch dann schwärmte ein Freund über ein Programm zur theoretischen Physik im Bereich Chemie, das „für ein Mädchen jedoch ungeeignet“ sei, und prompt änderte sie ihre Meinung.

Quantenmechanik als Mutprobe

„Ich habe die Quantenmechanik als Mutprobe gewählt“, sagt Anna Krylov. Und es funktionierte. Krylov schloss ihr Bachelor-Studium mit Auszeichnung ab, heiratete, bekam eine Tochter – und erfüllte ausnahmsweise die Erwartungen der Familie. Sie pausierte für ein Erziehungsjahr, doch die „Auszeit“ öffnete ihr die Augen: „Ich verstand, dass es für mich nicht in Frage kommen würde, meine Karriere aufzugeben.“ 1989 kehrte sie an die Universität zurück, in einer Zeit politischer Umbrüche. Als die Mauer fiel, verkündete ihr Professor, dass Fragen zum Ostblock aus den Prüfungen gestrichen würden, da er gerade aufgehört hatte zu existieren. Anna Krylov: „Stellen Sie sich vor, was das für uns bedeutete!“

Mit Mathematik über Wissenschaft kommunizieren

Zwei Jahre später, 1991, emigrierte die Familie nach Israel. Es war ein Sprung ins Ungewisse. Da sie weder Hebräisch noch Englisch sprach, nutzte Anna Krylov die Mathematik, um über Wissenschaft zu kommunizieren. Sie beeindruckte ihren zukünftigen Betreuer, Benny Gerber, derart, dass sie in das Promotionsprogramm der Hebräischen Universität von Jerusalem aufgenommen wurde. Die nächsten fünf Jahre verbrachte sie mit dem Studium der molekularen und Quanten-Dynamik am Fritz-Haber Center umgeben von weltweit führenden Expertinnen und Experten.  Und noch immer nahm sie gelegentlich Putz-Jobs an, um einen Beitrag zum Familieneinkommen zu leisten. „Es gefiel mir, Dinge sauber und glänzend zu machen, das machte die Chemikerin in mir glücklich“, erinnert sich Anna Krylov.

Nach dem Abschluss im Jahr 1996 zog die Wissenschaftlerin nach Berkeley, um mit Martin Head-Gordon zu arbeiten. Sie wollte herausfinden, wie sich die Quantenchemie zum Studium der Dynamik angeregter Systeme nutzen lässt, doch recht schnell stellte sich heraus, dass es die dafür notwendigen Werkzeuge nicht gab. Die Quantenchemie von elektronisch angeregten Systemen und Valenzschalen war ein neues Forschungsgebiet, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor enorme Probleme stellte. Anna Krylov fand das nicht einschüchternd, sondern inspirierend, und sie widmete sich fortan der Entwicklung elektronischer Strukturmethoden.

Aus dem Scheitern entstand ein tiefes Verständnis

„Ich habe mich für die Arbeit in diesem Bereich entschieden, weil es extrem herausfordernd ist. Man braucht höhere Mathematik, ein tiefes Verständnis für Physik und Programmierfähigkeiten“, erklärt die Wissenschaftlerin. Das Ausprobieren neuer Ideen erfordert jedoch einige Investitionen. Nach dem Wechsel als Assistant Professor an die USC im Jahr 1998, benötigte sie zwei Jahre, um ihr erstes Projekt zu entwickeln – nur um festzustellen, dass der zentrale Gedanke „Schrott“ war. „Man möchte nicht, dass einem so etwas passiert, wenn man im Tenure-Track ist“, lacht Anna Krylov. Aus diesem Scheitern entstanden jedoch ein tiefes Verständnis für die Probleme der Vielteilchen-Physik und neue Idee zu starken Korrelationen – und diese funktionierten.  Krylov glaubt, dass das Scheitern entscheidend war für ihren späteren Erfolg. Sie denkt, dass „maximale Zufriedenheit entsteht, wenn man versucht, die größten Probleme zu lösen, auch wenn man dabei scheitert.“ Eine Lektion hat sie beim Klettern gelernt: „Hab keine Angst zu scheitern. Wenn du nie scheiterst, dann sind deine Probleme nicht groß genug.“ Text: Adler