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Elektronenquelle im Streichholzschachtelformat

Ein internationales Forscherteam hat eine neuartige Elektronenquelle entwickelt, die kleiner ist als eine gewöhnliche Streichholzschachtel. Die Miniquelle produziert kurze und stark gebündelte Elektronenstrahlen, die sich zur Untersuchung verschiedenster Materialien einsetzen lassen – von Biomolekülen bis hin zu Supraleitern. Außerdem könnte sie die Teilchenbeschleuniger der nächsten Generation von Röntgenlasern mit maßgeschneiderten Elektronenpaketen versorgen. Heute eingesetzte sogenannte Elektronen-Guns können leicht die Größe eines Autos erreichen. Das Team um CUI-Wissenschaftler Prof. Franz Kärtner (Universität Hamburg, DESY, MIT) stellt seine Miniatur-Elektronen-Gun im Fachblatt „Optica“ vor.

Elektronenquelle

Das Funktionsprinzip der Miniatur-Elektronenquelle (rechts): Ein ultravioletter Blitz (blau) beleuchtet die Photokathode der Quelle von der Rückseite und setzt eine kompakte Elektronenwolke auf der Innenseite des Geräts frei, die unmittelbar von einem extrem intensiven Terahertz-Puls (rot) auf Energien nahe dem Kilo-Elektronenvolt-Bereich beschleunigt wird. Bild: W. Ronny Huang, CFEL/DESY/MIT

Die Neuentwicklung nutzt Terahertz-Strahlung statt der üblichen Hochfrequenzfelder, um Elektronen aus der Ruheposition zu beschleunigen. Da Terahertz-Strahlung viel kürzere Wellenlängen hat als Hochfrequenz-Strahlung, können die Abmessungen des gesamten Aufbaus erheblich schrumpfen. So misst die neuartige Elektronenquelle nur 34 mal 24,5 mal 16,8 Millimeter – das ist etwas kleiner als eine Standard-Streichholzschachtel.

„Terahertz-Elektronenquellen sind klein und effizient“, erläutert Hauptautor Dr. W. Ronny Huang vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), der seine Arbeit am Hamburger Center for Free-Electron-Laser Science (CFEL) durchgeführt hat, einer Kooperation von DESY, Universität Hamburg und der Max-Planck-Gesellschaft. „Darüber hinaus können die verwendeten Terahertz-Wellenleiter viel höhere Feldstärken vertragen als bei Hochfrequenz-Wellenlängen, wodurch die Elektronen einen viel stärkeren Anschub bekommen. So entstehen deutlich intensivere und kürzere Elektronenstrahlen.“ Ultrakurze Elektronenstrahlen mit minimaler Streuung der Energie der individuellen Teilchen, hoher Ladung und geringer zeitlicher Fluktuation können beispielsweise genutzt werden, um Phasenübergänge in Metallen, Halbleitern und Molekülkristallen mit Hilfe der Methode der ultraschnellen Elektronendiffraktion zu beobachten.

Doppelt so starkes Beschleunigungsfeld

„Unsere Quelle besitzt einen Nanometer-dünnen Kupferfilm, aus dem ultraviolette Strahlungsblitze kompakte Elektronenwolken herausschlagen“, erläutert Huang. „Eine maßgeschneiderte Mikrostruktur kanalisiert die eingespeiste Terahertz-Laserstrahlung dann so, dass sie die maximale Wirkung auf die Elektronen entfaltet.“ Auf diese Weise erreicht die Quelle einen Beschleunigungsgradienten von 350 Megavolt pro Meter. „Das Beschleunigungsfeld ist fast doppelt so stark wie bei den modernsten konventionellen Quellen“, sagt Huang. „Wir konnten kompakte Pakete von je 250 000 Elektronen von 0 auf 500 Elektronenvolt beschleunigen, wobei die Energie der individuellen Teilchen kaum schwankt. Mit diesen Eigenschaften könnten die Elektronenstrahlen aus unserer Quelle bereits direkt für Untersuchungen mit Hilfe der niederenergetischen Elektronendiffraktion verwendet werden.“

Das CFEL verfügt über große Hochleistungslaserlabore, in denen sich die nötige Laserstrahlung erzeugen lässt. In dem neuartigen Aufbau erzeugt derselbe Laser sowohl die ultravioletten Strahlungsblitze zur Freisetzung der Elektronenwolke als auch das Terahertz-Feld zur anschließenden Beschleunigung der Teilchen. „Das sorgt für eine zuverlässige Synchronisierung und reduziert so die zeitliche Fluktuation erheblich“, erläutert Huang. Die Quelle arbeitete in den Versuchen der Forscher über mindestens eine Milliarde Elektronenstrahlschüsse stabil.

Unverzichtbare Geräte für chemische Reaktionen

„Elektronenquellen sind unverzichtbare Geräte, etwa um chemische Reaktionen mit Hilfe der ultraschnellen Elektronendiffraktion in atomarer Auflösung zu filmen – eine Technik, der vor allem die Gruppe von Prof. Dwayne Miller am Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie im CFEL den Weg bereitet“, sagt Kärtner. „Mit kleineren und besseren Elektronenquellen können etwa Biologen bessere Einblicke in die Funktion der makromolekularen Maschinerie in der Photosynthese bekommen, und Physiker können zum Beispiel die fundamentalen Wechselwirkungsprozesse in komplexen Festkörpern besser verstehen.“

„Darüber hinaus sind Elektronenquellen wichtige Komponenten von Röntgenlaser-Anlagen“, erläutert Kärtner. Am CFEL werde bereits an der nächsten Generation von Terahertz-Elektronenquellen gearbeitet. Sie soll dann ultrakurze und ultrahelle Elektronenstrahlen mit höheren, sogenannten relativistischen Energien und nur zehn Femtosekunden (billiardstel Sekunden) Dauer produzieren.

„Diese Geräte sollen als Photoinjektoren für kompakte Attosekunden-Röntgenlaser dienen, die im Rahmen des AXSIS-Programms entwickelt werden“, berichtet Kärtner. Eine Attosekunde ist eine tausendstel Femtosekunde. Mit Hilfe von Attosekunden-Röntgenlasern hoffen Forscher, ultraschnelle Prozesse in der Natur zu entschlüsseln, etwa die Dynamik der Lichtabsorption und des Elektronentransports in der Photosynthese. Das AXSIS-Programm (Frontiers of Attosecond X-ray Science-Imaging and Spectroscopy), an dem außer Kärtner auch Prof. Henry Chapman (Universität Hamburg, DESY) und Dr. Ralph Aßmann (DESY) sowie von der Arizona State University Prof. Petra Fromme beteiligt sind, wird vom Europäischen Forschungsrat (ERC) über einen ERC Synergy Grant gefördert.

Originalarbeit:
W. Ronny Huang, Arya Fallahi, Xiaojun Wu, Huseyin Cankaya, Anne-Laure Calendron, Koustuban Ravi, Dongfang Zhang, Emilio A. Nanni, Kyung-Han Hong, and Franz X. Kärtner
„Terahertz-driven, all-optical electron gun“

Optica, 2016
DOI: 10.1364/OPTICA.3.001209